Zu glauben

Zu glauben.

Vor vielen Jahren war ich auf eine Geburtstagsfeier eingeladen. Es waren einige Leute dabei, die den anderen erzählen mussten, wie viel Alkohol sie vertragen konnten und wie gut sie mit dieser Menge Alkohol dann noch Auto fahren konnten (und wie viele gefährliche Situationen sie dann knapp überlebten). Als Antialkoholiker war ich natürlich über diese Art von Gesprächen wenig glücklich und war daher froh, als sich mit vorgerückter Stunde nach und nach die Reihen lichteten. Das Gespräch verließ die wichtigen Themen „Wein“ und „Weib“ und kam nach einigen Umwegen auf einen interessanteren Bereich: Ich wurde nämlich gefragt, ob ich irgendeinen Verein angehören würde.
Ich erwähnte (zugegebenermaßen etwas zögernd) den Jugendkreis und somit begann eine Diskussion zum Thema Kirche und Christentum.
Besonders eine junge Frau (die noch relativ nüchtern war, da sie mit ihrem Freund per Motorrad nachhause fahren wollte) interessierte sich für einige Punkte meines Glaubens. Allzu viel konnte ich nicht erklären, es gab zu viele Zwischenfragen der anderen. Als sie aufstand und gehen wollte, wollte sie anscheinend das letzte Wort haben und die Diskussion mit folgendem Satz beenden:

„Wir können uns doch darauf einigen, dass jede Religion für sich Recht hat“

Ich protestierte, aber sie und ihr Freund verließen das Lokal und ich konnte nicht weiterdiskutieren.

In einigen Diskussionen zum Thema Glauben findet man diese und ähnliche Aussagen, wie „Jede Religion führt zu Gott“, „Moslem, Christ, Buddhist, die beten doch alle den gleichen Gott an“, usw.… Oft sind dann die Gesprächspartner entsetzt, wenn man dem nicht zustimmt. In der heutigen toleranten Zeit darf doch niemand von sich behaupten, er hätte die Wahrheit gepachtet. Wo kommen wir da hin, wenn jeder so denken würde? Da gebe es ja bald wieder Kreuzzüge und andere heiligen Kriege.
Was aber oft vergessen wird, ist, dass ich, auch wenn ich der Aussage eines anderen Menschen nicht zustimme, ihm doch nicht sofort den Schädel einschlagen muss (als Christ sollte ich das ja auch nicht tun….).
Aber was am öftesten vergessen wird, ist:
Es ist unmöglich, an zwei (oder mehr) Religionen zu glauben.
Die Bibel definiert Glaube im Hebräerbrief (11:1) auf folgende Weise: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“
Ganz wichtig ist hier für mich das „Überzeugt sein“. Bin ich überzeugt, dass Gott die Menschen so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn für sie geopfert hat? Bin ich überzeugt davon, dass Jesus für mich am Kreuz gestorben ist?
Wenn ja, dann kann ich nicht (ohne ein gewisses Maß an Schizophrenität) davon überzeugt sein, dass auch der Koran wahr ist, denn der sagt, dass Jesus nur ein Prophet war und überhaupt nicht am Kreuz gestorben ist (schon gar nicht für mich).

Gerade der christliche Glaube wird nur durch das Vertrauen auf die Wahrheit des Evangeliums definiert, „denn die Schrift sagt: Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen“. (Römer 9:11) und „[…] wir sind der Überzeugung, daß der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.“ (Römer 3:28) und „[…] aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt -, nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann.“ (Epheser 2:8f) Unser Glaube wird nur durch das Vertrauen auf das Opfer Jesu bestimmt, wir können selbst nichts tun (keine Werke, sprich: keine guten Taten), um Gott zu gefallen, denn wir „alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren.“ (Römer 3:23)

Natürlich sind das alles bekannte Verse, aber mir ist es wichtig, hervorzuheben, dass ein Christ nicht einer ist, der an eine alte, überlieferte Gottesbeschreibung glaubt, sondern dass ein Christ ein Mensch ist, der sein Leben auf ein ganz bestimmtes Versprechen eines ganz bestimmten Gottes baut. Wenn man Jesus als Herrn angenommen hat und sein Opfer für wahr gehalten hat, kann man nicht mehr sagen, dass auch andere Religionen zu Gott führen, ohne seine eigene Hoffnung lächerlich zu machen, denn der einzige Gott hat nur einen einzigen Weg zu sich bereit gestellt, so wie „Jesus sagte […] : Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Johannes 14:6)

Ich bin mir durchaus bewusst, dass es Leute gibt, die Christ-sein anders definieren: Sie meinen (auch wenn sie es selbst nicht so definieren würden), dass man dann ein Christ ist, wenn man an einem Gott glaubt, der dem irgendwie ähnlich ist, den die Evangelisten beschreiben. Die Bibel ist für sie nicht Gottes Wort, sondern nur ein nettes Nachschlagewerk für schlechte Zeiten, wobei Verse wie Johannes 14:6 einfach als veraltet und nicht gültig abgestempelt werden. Und Hebräer 10:31 beschreibt doch nicht den lieben Gott, oder?

Vielleicht gibt es jetzt einen Aufschrei von irgendwelchen Seiten: Man kann doch nicht sagen, dass nur der, der die Bibel wörtlich nimmt und vielleicht auch noch täglich in ihr liest, ein echter Christ ist (dann würde mich leider die zweite Bedingung auch ausschließen). Das wäre ja ein Glaube an tote Buchstaben.
Ich möchte nicht so weit gehen. Ich denke, dass man Christ sein kann, ohne je einen Vers aus der Bibel gelesen zu haben (obwohl für mich die Bibel Gottes Wort ist). Aber ein Christ wird (zumindest meiner Meinung nach) durch sein Gottesbild bestimmt, durch das, was er von Gott erwartet und durch das, was er glaubt, dass Gott von ihm erwartet. Wenn jetzt das eigene Gottesbild so weit entfernt von dem von Petrus, Paulus oder Jesus selbst liegt, dann, so denke ich, hat man sich seine eigene Religion geschaffen.
Und eine eigene Religion kann zwar das Gewissen beruhigen, aber sie kann niemanden zu Gott bringen. Zu Gott kommt man nur über den Weg der Wahrheit.

Vielleicht gibt es den Einwurf: Du bist ja nur ein kleiner Mensch, wie kannst du dir anmaßen, die Wahrheit zu kennen!?
Nun, zuerst bin ich einmal überzeugt, dass es nur eine Wahrheit gibt.
Für alle die, die jetzt verwundert sind: Unsere Gesellschaft ist so tolerant geworden, dass nicht nur jeder seine Meinung haben darf, nein, sie ist auch noch richtig!
Es wird gesagt, dass alle Wege zu dem gleichen Gott führen, Gott wird nur von verschiedenen Seiten gesehen.

Dazu wird ein Gleichnis erzählt, ähnlich dem folgenden:
Zwei Menschen kommen in einen Raum, in dem ein Tisch und ein Sessel stehen. Nachdem sie den Raum verlassen haben, wird jeder befragt, was er gesehen hat. Der erste sagt: „Im Raum ist ein Sessel“. Der zweite widerspricht: „Nein, im Raum ist ein Tisch“. Und schon haben wir den schönsten Glaubenskrieg mit Beleidigungen und Schlägereien, der doch unnötig ist, da doch beide – TADA! – Recht haben.
Ich finde aber, dass dieses Gleichnis nicht auf unsere Situation passt und möchte es etwas modifizieren:
Zwei Menschen kommen in einen Raum, der genau ein Möbelstück enthält. Wieder kommen sie heraus und wieder berichten sie: „Im Raum ist ein Sessel“, „Im Raum ist ein Tisch“. Wenn beide an ihrer Meinung festhalten, wird es nie zu einer Einigung kommen, denn wir wissen: Im Raum ist nur ein Möbelstück. Also sagt einer der beiden etwas falsches, sei es aus Irrtum oder aus Bosheit (oder welchen Grund es auch immer geben kann, über Möbelstücke nicht die Wahrheit zu sagen).

Auf das Thema Religion bezogen ein weiteres Beispiel: Im Christentum wird gesagt, dass nach dem Tod das Gericht folgt, wo die (und nur die) Menschen, die auf Jesus hören und an Gott glauben, das ewige Leben erlangen werden (zB Joh 5:24). Im Hinduismus wird behauptet, dass man mit einem positiven Karma (sprich: Das Soll-Haben Konto der guten und schlechten Taten) als besserer Mensch oder Mitglied einer hohen Kaste wiedergeboren wird, mit einem negativen Karma aber als Mitglied einer niedrigeren Kaste, oder als Kastenloser (Paria = Unberührbarer) (oder z.B. als Regenwurm, was nicht viel schlimmer ist) wiedergeboren wird. Erst als Mitglied der höchsten Kaste (der Brahmanen) kann man dann das ewige, mühselige Rad der Wiedergeburt nach dem Tod verlassen und ins Nirvana, dem Nichts, aufgehen.
Sind diese beiden Ansätze irgendwie miteinander vereinbar? Ich denke nicht.

Nun, wenn man der Meinung ist, das es nur eine Wahrheit gibt, wie kann man sie aus den vielen, vielen falschen Aussagen herausfinden?

Diese schwierige Antwort möchte ich wieder mit einem Gleichnis versuchen. Literarisch Informierte werden hier sofort die Ringparabel aus Lessings „Nathan der Weise“ wieder erkennen – mit einem kleinen Unterschied, dem fehlenden Ende….
Ein König hatte einen wertvollen Ring, der Macht und Ansehen vor Gott und den Menschen verleihen konnte. Irgendwann war seine Zeit gekommen, und er musste seinen Ring weitervererben. Doch leider hatte er drei Söhne, denen er allen den Ring versprochen hatte. Um keinen zu enttäuschen, ließ er noch zwei weitere Ringe machen, die zwar dem richtigen Ring wie ein Haar dem anderen glichen, aber natürlich keine bestimmten Kräfte besaßen. Kurz vor seinem Tod verteilte er nun die Ringe und [Zitat aus „Total Tote Hose – Bockstarke Klassiker“:] „der Gag von der Story ist, dass man nur an der Action der Drei erkennen kann, wer den Klunker mit der Power erwischt hat.“ Oder im Original:

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können!

Wenn die Bibel die Wahrheit enthält, dann müssen sich auch verschiedene Versprechen, die sie uns gibt, erfüllen, zum Beispiel die viel zitierte Frucht des Geistes:
Galater 5:16.22f „Darum sage ich: Laßt euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht.“

Wenn also die Menschen, die an die Wahrheit einer Religion glauben, positiv anders sind als die anderen – und zwar so anders, dass man es merkt – dann spricht das meiner Meinung nach dafür, dass sie das Richtige glauben. Und wenn wir nicht anders als „die anderen“ sind, dann – ja dann stimmt entweder mit unserer Religion etwas nicht, oder mit uns selbst. (-> 1. Joh 2:3f)

Aber wie ist das jetzt mit dem Anmaßen, die Wahrheit zu wissen? Darf ich jetzt zum Buddhisten von nebenan sagen: „Junge, was du glaubst, ist falsch“?
Ich denke, als Christ muss ich das sogar. Jesus hat uns aufgetragen (Markus 16:15): „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“
Und Paulus meint im Römerbrief (9:10): „Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen.“
D.h. ein wichtiges Zeichen eines echten Glaubens ist das Bekennen des Glaubens (natürlich nicht vorm Spiegel, sondern vor anderen Menschen) Aber selbst wenn uns Gott diesen Auftrag nicht über die Bibel mitgeteilt hätte, sollte es doch klar sein, dass man von seinem Glauben erzählt. Dazu möchte ich wieder ein Gleichnis erfinden: Es regnet einige Tage lang. Ein Mann, der in einem Dorf unterhalb einer Staumauer wohnt, wird von einem Bekannten gewarnt, dass die Schleusen in einer Stunde geöffnet werden müssen, und dann bald das ganze Dorf unter Wasser stehen wird. Der Bekannte ist verlässlich, also glaubt ihm der Mann. Ruhig beginnt er, die wertvollen Gegenstände aus dem Keller in den ersten Stock zu räumen, dann alles aus dem Erdgeschoß. Schließlich führt er sein Auto auf eine Anhöhe und wartet dort seelenruhig und sieht zu, wie das ganze Dorf überschwemmt wird.
Wirklich?

Oder anders: Es regnet einige Tage lang. Ein Mann, der in einem Dorf unterhalb einer Staumauer wohnt, wird von einem Bekannten gewarnt, dass die Schleusen in einer Stunde geöffnet werden müssen, und dann bald das ganze Dorf unter Wasser stehen wird. Der Bekannte ist verlässlich, also glaubt ihm der Mann. Er geht hinaus auf den Dorfplatz und trifft dort auf den Bürgermeister, der ihm auf die Schulter klopft und meint: „Gut, dass uns das der Staudamm von der Flut schützt.“ Der Mann ist tolerant – schließlich hat jeder Recht auf seine Meinung -, also schweigt er und belässt den Bürgermeister in seinem Glauben. Er geht zurück zu seinem Haus – etwas verunsichert – und räumt ein, zwei der wichtigsten Gegenstände (Fernseher, Computer,…) in den ersten Stock, dann wartet er. Er wartet und sieht dann hilflos zu, wie das ganze Dorf überschwemmt wird.
Absurd?
(Dazu vielleicht: Von Wasser zu Feuer: 1. Korinther 3:10-15)

Absurd? Ein Glaube ohne Konsequenz ist auf jeden Fall absurd! Wie kann ich glauben, dass Jesus mein Herr und mein Gott ist (wie ein anderer Thomas vor beinahe 2000 Jahren gesagt hat (Joh 20:28)) – und es hat keine Auswirkungen in meinem Leben?

Genauso ist aber auch Glaube ohne Weitergabe absurd. Denn wie passen Bosheit oder zumindest Egoismus mit „Liebe deinen Nächsten“ (Der Vollständigkeit halber: Lukas 10:27) zusammen? Will ich wirklich warten, bis das ganze Dorf überschwemmt wird?

Zum Schluß noch ein Zitat aus „Carpe Jugulum“, einem Discworld / Scheibenwelt-Buch (die Fantasy-Komödien – Reihe des nicht-christlichen Terry Pratchett). Der erwähnte Mr. Oats ist Mönch der Religion des Gottes Om, eine Religion, die einige Parallelen zum Christentum aufweist, besonders die heilige Inquisition. Außerdem weiß man als Leser (aus „Small Gods“), dass die genannten Ereignisse wirklich so geschahen:

„Diesen Om… hat irgendjemand ihn gesehen?“
„Es wird gesagt, dass dreitausend Menschen Zeugen seiner Erscheinung beim Großen Tempel waren, als er den Bund mit dem Propheten Brutha schloss und ihn vor dem Tod durch Folter auf der eisernen Schildkröte rettete-„
„Aber ich wette, dass sie jetzt darüber streiten, was die Leute wirklich sahen, eh?“
„Nun ja, so ist es, ja, es gibt viele Meinungen- „
„Richtig. Richtig. So sind die Menschen. Nun, wenn ich ihn gesehen hätte, wirklich hier, wirklich lebendig, dann wäre es in mir wie ein Fieber. Wenn ich denken würde, dass es einen Gott gibt, der sich wirklich um Leute sorgt, der sie beschützt wie ein Vater und sie umsorgt wie eine Mutter … nun, man würde mich nie irgendetwas sagen hören, wie „Es gibt zwei Seiten bei jeder Frage“ und „Wir müssen den Glauben anderer Leute respektieren.“ Ich würde nicht nur so etwas nett sein, in der Hoffnung, dass alles am Ende in Ordnung sein wird, nicht, wenn diese Flamme in mir brennen würde, wie ein erbarmungsloses Schwert. Und ich sagte brennen, Mister Oats, denn genau das würde es tun. Ihr sagt, dass ihr nicht mehr Leute verbrennt und Menschen opfert, aber genau das ist es, was wahrer Glaube bedeutet! Dein eigenes Leben an die Flamme opfern, Tag für Tag, diese Wahrheit verkünden, dafür arbeiten, mit jedem Atemzug. Das ist Religion. Alles andere ist nur…ist nur nett sein. Und höchstens dazu da, um bei den Nachbarn beliebt zu bleiben.“